Ein System in den Köpfen und in der Werkstatt
Seien wir ehrlich: Chaos kostet Geld. Es kostet Zeit. Und es kostet eine Menge unnötigen Ärger. Wenn man minutenlang nach einem Werkzeug, einem Bauteil oder einem Dokument suchen muss, ist das reine Zeitverschwendung. Der Kollege hat es mal wieder nicht zurückgelegt, und natürlich braucht man es genau dann, wenn die Deadline drängt. Kommt Ihnen das bekannt vor? Nun, 5S löst genau dieses Problem.
Viele Leute schenken dem keine Beachtung, weil sie denken, es sei nur irgendein japanischer Putzfimmel. Das ist der größte Fehler. 5S ist keine große Aufräumaktion, sondern eine knallharte Methode zur Effizienzsteigerung. Ein System, das, wenn man es richtig macht, das Überflüssige ausmerzt, Logik in den Alltag bringt und Ergebnisse liefert, die einen selbst überraschen. Der Kern ist die Beseitigung von muda
, also Verschwendung. Suchen, unnötige Bewegungen, Warten – all das ist Verschwendung. 5S packt diese Probleme an der Wurzel.
Schauen wir uns an, was diese 5 S in der Praxis bedeuten.
1. S: Seiri (Sortieren) – Das gnadenlose Aussortieren
Dies ist der erste und wichtigste Schritt. Die Regel ist einfach: Was für die Arbeit an diesem Ort nicht gebraucht wird, fliegt raus. Die Frage ist nicht: „Könnte das noch für etwas gut sein?“, sondern: „Wird es hier und jetzt für die täglichen Aufgaben benötigt?“. Die traurige Wahrheit ist: Was keinen Wert hinzufügt, nimmt welchen weg. Es ist unglaublich schwierig, im Chaos zu arbeiten.
Die effektivste Methode ist die „Rote-Karte-Aktion“. Gehen Sie durch den Bereich und kleben Sie einen roten Zettel auf alles, bei dem Sie sich über die Notwendigkeit nicht sicher sind. Sammeln Sie diese Gegenstände an einem dafür vorgesehenen Ort. Geben Sie eine Gnadenfrist, sagen wir 30 Tage. Was in dieser Zeit niemand anrührt, kann verschrottet, verkauft oder in ein Lager für selten genutzte Werkzeuge gebracht werden. Wichtig ist, dass es aus dem direkten Arbeitsbereich verschwindet. Hier muss die Sammlermentalität überwunden werden.
Das Überwinden des "Sammelns" ist nicht so einfach, wie es klingt, denn einer der sieben charakteristischen menschlichen Motivationspunkte, das Wirtschaftsmotiv – genauer gesagt dessen übermäßige Verzerrung – kann viele Probleme verursachen. Für einen wirtschaftlich motivierten Menschen, dessen Persönlichkeit übermäßiges Sammeln und Horten beinhaltet, ist das Lebensprinzip, dass dieses oder jenes noch für etwas gut sein wird. Dann nutzen sie dieses bestimmte Ding meistens nie; es behindert sie nur bei der Erledigung ihrer Arbeit – es ist unglaublich schwierig, im Chaos zu arbeiten.
2. S: Seiton (Systematisieren) – Alles an seinen Platz
Nachdem nur noch die notwendigen Dinge übrig sind, kommt die logische Anordnung. Das Ziel ist die „30-Sekunden-Regel“: Alles muss innerhalb von 30 Sekunden gefunden und in der gleichen Zeit wieder zurückgelegt werden können. Das System muss selbsterklärend sein.
Die Werkzeuge hierfür sind Elemente des visuellen Managements:
Schattenbretter: Wir malen die Umrisse der Werkzeuge auf die Aufbewahrungstafel. Auf einen Blick ist ersichtlich, was fehlt und wohin es gehört.
Beschriftung: Jedes Regal, jede Schublade, jeder Behälter sollte eindeutig und mit großen Buchstaben beschriftet sein. Wenn Sie sich nicht 5 Minuten für die Beschriftung nehmen, müssen Sie später jedes Mal 5 Minuten verschwenden, wenn Sie z.B. ein Befestigungselement oder ein Bauteil suchen.
Bodenmarkierungen: Malen Sie die Standorte für Paletten, Wagen und Abfallbehälter auf. Nichts steht mehr im Weg. Wer schon einmal in einer Fabrik war, weiß jetzt, warum für alles und jedes der Platz auf dem Boden markiert ist.
Farbcodes: Verwenden Sie Farben zur Kennzeichnung von Ausschuss, Halbfertig- und Fertigprodukten. Das ist schnell, einfach und reduziert Fehler. Hierzu möchte ich noch hinzufügen, dass man transparente Verpackungen verwenden sollte; denken Sie zum Beispiel an Befestigungselemente. In unserem Ingenieurbüro war es früher oft der Fall, dass beim Kauf einer großen Kiste mit Befestigungselementen die gekauften Dinge in Papiertüten waren (und in der Kiste war natürlich nicht nur eine Tüte, sondern sagen wir 40-50 verschiedene). Und obwohl mit einem Stift auf die Papiertüte geschrieben war, was drin ist, erinnert man sich vielleicht bei 5-10 Tüten noch daran, was in welcher Tüte ist, aber bei 50 ist die Situation völlig chaotisch. Es ist viel einfacher und schneller, wenn die Dinge in Plastiktüten oder einer Art Aufbewahrungsbox sind, sodass man in die Verpackung hineinsehen kann. (Und dann können die Umweltschützer kommen und sagen, Papier sei umweltfreundlich. Sicher, das wäre es, wenn das Papier nicht mit Kunststoff verstärkt wäre.)
Die Nutzungshäufigkeit entscheidet: Was täglich gebraucht wird, muss griffbereit sein. Was selten gebraucht wird, kann weiter nach hinten. Der Arbeitsablauf diktiert die Logik.
3. S: Seiso (Säubern) – Mehr als nur Staubsaugen
Das ist der Punkt, den die meisten falsch verstehen. Seiso ist nicht die Aufgabe der Reinigungskraft. Das Säubern ist hier die Verantwortung des Mitarbeiters und gleichzeitig ein wichtiger Inspektionsprozess.
Denken Sie mal darüber nach: Auf einer sauberen Maschine fällt ein Ölleck, eine lockere Schraube oder ein Riss sofort auf. Schmutz verdeckt Probleme, Sauberkeit macht sie sichtbar. Seiso ist also eine Art Mini-Instandhaltung. Am Ende der Schicht 5-10 Minuten, in denen der Maschinenbediener seine Maschine und deren Umgebung reinigt. Das ist keine verschwendete Zeit, sondern eine Investition in die Vorbeugung. Ein rechtzeitig erkannter Fehler kann Hunderttausende und tagelange Ausfallzeiten ersparen. Ganz zu schweigen von der Verringerung des kognitiven Drucks auf den Menschen. In Schmutz, Dreck und Unordnung arbeitet jeder viel langsamer, weil die Aufmerksamkeit des Menschen belastet ist. Es ist kein Zufall, dass wir uns in einer sauberen und geordneten Umgebung besser fühlen.
Ordnung und Sauberkeit sind hergestellt. Aber wie erreichen wir, dass dies nicht nur ein einmaliger Zustand bleibt, sondern zur täglichen Realität wird? Hier kommt die Seele des Systems ins Spiel.
4. S: Seiketsu (Standardisieren) – Nicht nur ein Strohfeuer
Dies ist der Klebstoff, der die ersten drei Schritte zusammenhält. Ohne Standardisierung gerät das Ganze in wenigen Wochen in Vergessenheit. Das Ziel ist, den sauberen und geordneten Zustand dauerhaft und visuell zu verankern.
Die praktischen Werkzeuge dafür sind:
5S-Checklisten (Audits): Eine einfache, auf Punkten basierende Liste, die wöchentlich von jemandem durchgegangen wird. Das Ergebnis wird auf einer Tafel ausgehängt, damit es jeder sehen kann. Wettbewerbsgeist und visuelles Feedback können Wunder wirken. Wir können nur kontrollieren, was wir aufschreiben, denn leider kann uns unser Gehirn einen Streich spielen.
Fotostandards: Machen Sie ein Foto vom perfekten Zustand („Soll-Zustand“) und hängen Sie es an die Wand. Keine Diskussionen mehr darüber, was Ordnung ist, das Bild zeigt es.
Verantwortungsbereiche: Es muss klar sein, wer der „Eigentümer“ des Bereichs ist und wer welche Aufgabe bei der Aufrechterhaltung der Ordnung hat.
Die Standardisierung gibt den Rahmen vor, damit die Ordnung nicht zufällig, sondern der Standardzustand des Systems ist.
5. S: Shitsuke (Selbstdisziplin/Aufrechterhalten) – Wenn es einem in Fleisch und Blut übergeht
Dies ist der schwierigste Schritt: der Aufbau der Kultur. Wenn 5S keine externe Anforderung mehr ist, sondern ein inneres Bedürfnis. Wenn man dem Kollegen nicht mehr sagen muss, er soll den Bohrer an seinen Platz zurücklegen, weil es selbstverständlich ist. Man nennt das Disziplin, aber in Wirklichkeit geht es um Selbstdisziplin und Gewohnheit.
Das lässt sich nicht auf Befehl erreichen. Es ist das Ergebnis von Konsequenz, ständiger Bestätigung und dem Vorbild der Führungskräfte. Wenn auch der Geschäftsführer regelmäßig durch die Werkstatt geht, die Ordnung bemerkt und anerkennt (das nennt man einen Gemba Walk), ist das mehr wert als tausend E-Mails. Shitsuke ist erreicht, wenn 5S kein Projekt mehr ist, sondern Teil der Kultur „So arbeiten wir hier“.
Vergessen wir nicht, dass das Herumnörgeln an anderen zu nichts Gutem führt, weil es beim Kollegen Reaktanz (Widerstand) auslösen kann, ähnlich wie wenn die Eltern ihrem Kind zum 265. Mal sagen, es solle die Mütze aufsetzen, weil es draußen kalt ist und es sich ohne Mütze erkälten wird. Und in solchen Fällen schaltet sich die bekannte Denkweise „jetzt erst recht nicht“ ein.
Warum lohnt sich das für Sie? Die knallharten Vorteile
Das ist alles schön und gut, aber was bringt es? In Geld und Effizienz messbare Ergebnisse:
Höhere Effizienz: Weniger Zeit wird mit Suchen verbracht, die Durchlaufzeiten werden kürzer.
Bessere Sicherheit: In einem geordneten Bereich gibt es weniger Unfallgefahren.
Hervorragende Qualität: Sauberkeit verringert das Risiko von Verunreinigungen, und die Früherkennung von Fehlern (Seiso) verhindert die Produktion von Ausschuss.
Weniger Maschinenausfälle: Die Lebensdauer der Maschinen erhöht sich, und die Anzahl ungeplanter Ausfälle sinkt durch die frühe Fehlererkennung.
Bessere Mitarbeitermoral: In einer sauberen, organisierten Umgebung nehmen Frustration und Stress ab, und der Stolz auf den Arbeitsplatz wächst.
Das Wesentliche und die Fallstricke
5S ist die Grundlage des Lean Managements. Wenn dieses Fundament instabil ist, ist es sinnlos, sich an komplexeren Systemen zu versuchen. Das wäre, als würde man auf Sumpf bauen.
Die häufigsten Fehler, die es zu vermeiden gilt:
Zu denken, es gehe nur ums Putzen. Nein. Es ist ein System.
Fehlendes Vorbild der Führungskräfte. Wenn es den Chef nicht interessiert, wird es auch die Mitarbeiter nicht interessieren.
„Einmal gemacht, fertig.“ Falsch. Es ist ein kontinuierlicher Kreislauf.
Es zu kompliziert machen. Beginnen Sie mit einem Pilotbereich. Zeigen Sie den Erfolg und machen Sie dann weiter.
Hier gibt es keine Magie. Nur Logik, Konsequenz und gesunder Menschenverstand.